Die Zivilgesellschaft lebt von Austausch, Engagement und Verantwortung. Doch in einer Welt, in der soziale Medien den Diskurs dominieren, droht sie zu zerfallen.
Was einst auf gemeinsamen Werten, realen Begegnungen und langfristigem Engagement basierte, wird nun durch Empörungskultur, Schnelllebigkeit und performative Solidarität ersetzt.
Plattformen, die eigentlich Kommunikation erleichtern sollten, verwandeln den gesellschaftlichen Dialog in einen Kampf um Aufmerksamkeit. Wer lauter schreit, wird gehört. Wer polarisiert, gewinnt Reichweite. Sachliche Debatten weichen reflexhaften Reaktionen – Differenzierung hat keine Chance, weil sie zu komplex für den Algorithmus ist. Der soziale Zusammenhalt leidet, weil echte Begegnungen durch digitale Tribalisierung ersetzt werden.
Auch die Rolle der Vereine und zivilgesellschaftlichen Organisationen verändert sich. Früher schufen sie Räume für Austausch, Lernen und gemeinschaftliches Handeln. Heute konkurrieren sie mit Clicktivismus und viralen Kampagnen, die schnelle Reaktionen fordern, aber kaum nachhaltige Lösungen bieten. Wer keine Reichweite generiert, wird irrelevant. Wer sich nicht den Spielregeln der Plattformen unterwirft, bleibt unsichtbar.
Die Folge: Engagement verkommt zur Geste. Ein geteiltes Bild ersetzt eine Spende, ein Hashtag den ehrenamtlichen Einsatz. Die Schwelle zur Teilhabe sinkt, doch zugleich schwindet die echte Bindung an gesellschaftliche Prozesse. Proteste formieren sich im digitalen Raum, doch ohne Struktur, ohne Kontinuität und oft ohne langfristige Wirkung.
Noch bedrohlicher ist, dass soziale Medien als Verstärker für Radikalisierung fungieren. Algorithmen priorisieren Polarisierung, weil sie Interaktion steigert. Verschwörungserzählungen, Hasskampagnen und digitale Hetzjagden sind kein Nebeneffekt, sondern ein strukturelles Problem. Demokratische Diskurse werden sabotiert, Debatten vergiftet, Menschen mundtot gemacht. Wer sich einbringt, riskiert, Ziel eines Shitstorms zu werden – viele ziehen sich daher zurück.
Die zivilgesellschaftliche Mitte bröckelt, während Extreme sich mobilisieren. Die digitale Omnipräsenz verändert nicht nur, wie wir reden, sondern auch, ob wir noch miteinander reden können. Was bleibt von der Zivilgesellschaft, wenn Vernetzung nicht mehr verbindet, sondern spaltet?
Vielleicht ist der Untergang noch aufzuhalten – aber nicht, indem wir uns dem Diktat der Plattformen unterwerfen. Sondern indem wir reale Räume der Begegnung stärken, Diskursfähigkeit zurückgewinnen und Engagement wieder an Taten statt an Klicks messen. Die Frage ist nur: Haben wir noch die Kraft dazu?
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